Ich sitze im Auto und fahre Richtung Breitenfurt. Ein kleiner Ort außerhalb der Stadtgrenzen Wiens, den ich meine Heimat nenne. Obwohl ich öfter meine Eltern besuche, bin ich heute aus einem anderen Grund hierher gekommen. Die Sonne scheint durch die kahlen Baumwipfel und ich durchquere den Ort.
Wo ich normalerweise rechts abbiege, fahre ich gerade weiter. Für mich geht es ans andere Ortsende. Ich lasse das Zentrum hinter mir und fahre die Straße weiter. Sie wird immer steiler und auch ein wenig enger. Kurz überlege ich, ob wohl oben am Berg schon Schnee liegt – mein Auto hat noch keine Winterreifen. Ich habe Glück, der Schnee ist zur Gänze geschmolzen.
Eine freundliche Begrüßung
Obwohl es Mitte November ist, sind die Wiesen in ein saftiges Grün getaucht und werden von der Sonne ein wenig aufgewärmt. Noch eine Kurve, ich habe mein Ziel erreicht. Das Motorgeräusch meines Autos verstummt, es ist auf einmal völlig still. Ich steige aus und überquere die Straße. „Für Anfragen wenden Sie sich bitte an das Haus nebenan“ – steht an der Türe der Pension geschrieben, die ich heute aufgesucht habe. Ein fremdes Auto erregt hier Aufmerksamkeit. So wurde ich schon von der Besitzerin gesichtet. Wir haben uns für 11 Uhr verabredet. Sie entschuldigt sich und läuft noch einmal geschäftig durch den Eingangsbereich des Wohnhauses. „Setz dich da in die Sonne, ich komm‘ gleich. Magst an Kaffee?“ Ich freue mich über so eine nette Begrüßung und nehme das Angebot gerne an.
Anfang November sind in der leer stehenden Frühstückspension 13 junge Männer untergekommen. Sie kommen aus Afghanistan, Syrien und dem Iran. „Nur zwei von ihnen können Englisch, das machts ein bisserl schwer. Aber sie sind alle sehr nett“, erzählt die Besitzerin der ehemaligen Pension. Sie raucht sich eine Zigarette an und nimmt einen Schluck von ihrem Kaffee. Ich muss nicht lange nachfragen, denn sie beginnt sogleich zu erzählen.
Wie kam es zu der Idee?
Vor zwei Jahren hatte sie schon mit dem Gedanken gespielt Flüchtlinge bei sich aufzunehmen. Doch viele Leute äußerten Bedenken. Sie wollte sich keine Feinde machen. Was heute anders ist? Die private Initiative WIN kam auf sie zu. Da hat sie beschlossen selbst die Initiative zu ergreifen und zu handeln. Finanzielle Unterstützung gibt es vom Land Niederösterreich.
Viermal pro Woche findet im Gemeinschaftssaal der Pension der Deutschunterricht statt. Es geht langsam voran, doch das Niveau der Teilnehmer ist sehr unterschiedlich. Einer hat einen Hochschulabschluss, zwei haben noch nie eine Schule von innen gesehen. Das erste Ziel? Die neue Schrift lernen.
Die Sonne scheint uns ins Gesicht während wir sprechen. Obwohl es nur knapp 5 Grad hat, tut es gut hier im Freien vor dem Haus zu sitzen. Die Ruhe wird nur durch das Geräusch gelegentlich vorbeifahrender Autos gestört. Auf dem Feld gegenüber grasen Schafe. „Dort spielen sie manchmal Fußball.“ Ob den jungen Männern hin und wieder langweilig sei? „Geh wo! Die ham an richtigen Stress manchmal“, erzählt sie lachend. Deutschunterricht, einkaufen gehen, kochen, organisierte Freizeitaktivitäten. Und ab 10 Uhr ist Nachtruhe. Aufbleiben dürfen sie natürlich so lange wie sie wollen. Nur der Elektroherd wird abgedreht. Aus Angst, dass vielleicht jemand vergisst ihn nach dem Kochen abzudrehen.
Ein Thema – zwei Meinungen
Es scheint als wäre der Ort entlang des Flüchtlings-Themas gespalten. Während die einen ihre Bewunderung zeigen, sind andere weniger begeistert. „Aber da kann man nichts machen. Das sind so nette junge Männer hier. Schade nur, dass ich sie ned alle versteh. Mein Englisch is ja auch ned so super…“.
Wir plaudern weiter. Über andere Freiwillige im Ort, die finanzielle Unterstützung, die die Gemeinde aufbringt und die Menschen, die noch kommen werden.
Meine Gedanken schweifen ab. Es ist seltsam, die Position der außenstehenden Beobachterin einzunehmen. Viele der beteiligten Akteure kenne ich persönlich. Menschen, mit denen ich schon meine Kindheit verbracht habe, nehmen auf einmal die eine oder die andere Position ein. Es scheint als habe meine Gesprächspartnerin recht: der Ort ist gespalten entlang dieses Themas.
Eine gute halbe Stunde sitzen wir in der Sonne. Enthusiastisch wird mir vom Alltag und dem friedlichen Zusammenleben berichtet. Nie hätte sie sich gedacht, dass alles so reibungslos funktioniert. Bedenken waren natürlich da, aber die sind jetzt wie weggeblasen. Die Menschen in diesem Ort haben aus privater Initiative viel erreicht. Die Motivation ist überwältigend. Die Zusammenarbeit und Organisation funktioniert einwandfrei. Jeder gibt das, was er oder sie geben kann. Zeit, Geld, Unterkunft…
Ich verabschiede und bedanke mich für das nette Gespräch. „Schick mir deinen Artikel, wenn er fertig ist!“, wird mir noch nachgerufen. Das werde ich bestimmt machen. Ich steige in mein Auto und lasse die heile Welt hinter mir zurück.
*In einer früheren Version hieß es, dass die Gemeinde auf die Besitzerin der Pension zugegangen sei. Tatsächlich hat sie aus Eigeninitiative und mit Unterstützung der privaten Initiative WIN die Unterbringung der Flüchtlinge in die Wege geleitet. Außerdem erhält sie finanzielle Unterstützung natürlich vom Land Niederösterreich und nicht von der Gemeinde.